Stillstand ist keine Alternative
Senegallia, in den 1960er reisten viele Österreicher in die italienische Gemeinde, um das erste Mal das Meer zu sehen, mit billigem Wein das Leben zu feiern oder mit Spaghetti und Lasagne neue kulinarische Dimensionen zu bereisen. Heute, 60 Jahre später, ist vieles anders geworden. Viele ausländische Touristen verirren sich nicht mehr in den Ort an der Adria und längst haben einige Restaurants erkannt, dass Kulinarik mehr bedeutet, als Minestrone, Tiramisu und Co.
Guten Morgen, Chef. Wenn Moreno Cedroni die Küche des Madonnina del Pescatore betritt, wird er von jedem seiner Mitarbeiter mit Ehrfurcht begrüßt. Kein Wunder, gehört der fast 60jährige Küchenchef doch zu den angesagtesten Stars der italienischen Restaurantszene. Cedroni ist gerade aus Rom angereist, morgen geht es weiter nach Mailand. Alles im Auftrag der Kulinarik, versteht sich. Dass er so viel unterwegs sein kann, hat einen einfach Grund. Auf seine Mannschaft kann sich, der in Senegallia aufgewachsene Koch, verlassen. Und so spaziert er mit den Gästen aus Österreich von Station zu Station. Eine junge Dame zaubert mit einer Art Waffeleisen kleine Biskuitfische, die zu einem späteren Zeitpunkt mit einem Fisch-Meeresfrüchte Ragout gefüllt werden. Ihr Nachbar ist dabei Karotten zu veredeln, ein anderer öffnet wie am Fließband Austern. „Meine Mitarbeiter sind mein Kapital, daher gibt es bei uns selbstverständlich eine fünf Tage-Woche und da wir das Madonnia des Pescatore im Winter drei Monate gesperrt haben, stimmt auch die Work-Life-Balance.“
Doch mit gehobener Küche verdiente Cedroni, der in der Nähe seines heutigen Restaurants aufgewachsen ist, nicht immer sein Geld. „In der Jugend habe ich als Kellner in den Strandlokalen von Senegallia gearbeitet, später habe ich in meinen Restaurant Pizza, Nudeln mit Venusmuscheln und gemischten Salat verkauf“, erzählt Cedroni, während er voller Stolz seine alten Speisekarten präsentiert, die ein Stück italienischer Tourismusgeschichte widerspiegeln. Heute ist fast alles anders, das zeigt sich spätestens beim Besuch des Tunnels. Ein Tunnel? Eigentlich handelt es sich um ein kleines Labor, in denen sich ein Chemiker um den experimentellen Teil des Restaurantkonzept kümmert. Keine Angst, hier wird nicht mit chemischen Substanzen experimentiert, die die Gesundheit gefährden. Hier im Tunnel werden die Kräfte der Natur bewusst eingesetzt, um geschmackliche Höhepunkte zu erzeugen. Fangfrischer Fisch schmeckt, dass wissen alle. Doch lässt man ihn reifen, ähnlich einem guten Steak, dann ergeben neue, unvergessliche Geschmackserlebnisse. Neben der „Fischreifekammer“ finden sich in der Hexenküche des Madonnia del Pescatore Gefäße in denen Kombucha schlummert oder Gin entsteht. Hier scheint fast alles möglich zu sein. Die Zeit drängt, schließlich möchte man noch im mit zwei Michelin-Sternen-Restaurant ausgezeichneten Restaurant speisen. Warum wir nicht genauer auf das Menü eingehen? Ganz einfach, Cedroni wechselt sein Speiseangebot – an dem drei Monate getüftelt wird – jede Saison. Schließlich bedeutet Stillstand im Kampf der Sterne Rückschritt. Und das ist nichts, das Cedronie seinen anspruchsvollen Gästen zumuten möchte.
Bericht von Andreas Hamedinger
[Fotocredit: Hamedinger/Strobel]